Das Schlangenmaul by Jörg Fauser

Das Schlangenmaul by Jörg Fauser

Autor:Jörg Fauser [Fauser, Jörg]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-05-09T04:00:00+00:00


20

»Mein Name ist Harder. Wir sind angemeldet.«

Eine kleine Dame mit grauem Haar und herzlichem Lächeln, angetan mit einer Art Tunika aus rotem Brokat, nahm uns in Empfang.

»Willkommen bei unserer Soiree! Und Ihre liebe Frau haben Sie auch mitgebracht.«

Ich schob meine liebe Frau in das Vestibül. Helles Licht, weiße Wände, gewachstes Parkett. Gruppen von Leuten mit Gläsern, im Hintergrund gedämpfte Musik, Sitarschluchzen. Ich zückte einen Karton.

»Wenn Sie meine Karte bitte Herrn Malzan geben könnten …«

»Herrn Malzan? Oh, ich fürchte, er ist noch nicht da.«

»Er wird aber doch noch kommen?«

»Nun, Herr Harder, es wäre ungewöhnlich, daß Herr Malzan sich um jeden einzelnen Interessenten kümmert …«

»… in diesem Fall wird er eine Ausnahme machen.«

»Wie Sie meinen, Herr Harder. Sollten Sie oder Ihre liebe Frau Fragen haben, wenden Sie sich bitte an mich. Vielleicht können wir auch ein kurzes Gespräch mit Frau Dr. Frenkel-Ahimsa arrangieren – nach Beendigung der Soirée.«

»Das wäre entzückend«, sagte ich und steuerte meine liebe Frau ins Gedränge. »Warum nennt sie dich so, Evelyn?«

»Vielleicht haben Frauen hier einen anderen Rang als da, wo du sonst verkehrst.«

Vielleicht erkannten sie aber auch sofort, daß Evelyn auf heimischem Parcours war – sie schnupperte die verbrauchte Luft einer Vernissage wie eine Stute die der Rennbahn ihrer großen Siege. Ein ganz in Weiß und Ocker gehaltener Saal. Dicke Teppiche. Zierpflanzen. Musselinvorhänge. Strategisch verteilte Sitzecken, an der hinteren Längswand ein dunkelroter Samtvorhang, davor Stuhlreihen für den Vortrag des Abends. An den Wänden Bilder, aber mich interessierten zunächst die Gäste der Soiree.

Ein undurchsichtiges Publikum. Grauhaarige Späthippies, auch ein paar modisch gekleidete Schickeriatypen, vor allem aber Dreißig- bis Vierzigjährige in unauffälligen Anzügen und dezenten Kostümen, die nicht so aussahen, als suchten sie hier das Geheimnis der Windradenergie oder einen Ausweg aus der Krise des post-psychologischen Bewußtseins. Mittleres Management, Handel und Verkehr, Geld und Kredit, auch auf Staatsschutz tippte ich. Aber wo war der in Berlin nicht dabei?

Dann wehte eine Gruppe von Indern in den Saal, und mit ihr bekam auch die gedämpfte Musik einen Sinn – Sari, Moschus, Brillantine, you must come see us in Bombay, und dazu die herzerweichende Klage aus den Lautsprecherboxen: Vishnu Food und Magic Air & Transport. Inzwischen hatte Evelyn sich die Bilder angesehen.

»Retardierte Schizophrenie«, sagte sie.

»Woran merkst du das?«

»Ich bitte dich, Harder. Hast du nie von der Kunst der Schizophrenen gehört?«

»Ich dachte, alle Künstler wären schizophren.«

»Und du warst mal mit mir verheiratet. Die Frage ist nur – ist Zernul echt oder ein Nachahmer?«

»Wer ist denn Zernul?«

»Der Künstler natürlich, Dummerchen. Da vorne neben der Schlingpflanze.«

Zernul war ein junger Mann mit rasiertem Schädel, der speckig glänzte, einem schütteren blonden Bart, einem von der Trunksucht und schlecht verheilter Akne verwüsteten Gesicht und langen, affenartigen Armen. Er war von untersetzter Statur und trug eine mit Sprayfarben verschmierte alte Lederjacke, einen dreckigen Pullover, verschlissene Kordhosen und Armeestiefel, wie sie bei den Skinheads vorgeschrieben waren. Abgesehen von seinen zarten und glänzend geschrubbten Patschhändchen war er der unappetitlichste Misthaufen, den ich seit langem gesehen hatte, bis er seinen verschorften Mund zu einem Lächeln verzog – es war das Lächeln eines Engels, der unter die Teufel geraten ist und das dem lieben Gott nie verzeihen wird.



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